Gartenkunst voller Erinnerung
The Lost Gardens of Heligan waren einst eines der schönsten Anwesen Cornwalls. Heute hat sich die ehemalige Schönheit wieder zu einem der beliebtesten Gärten Großbritanniens gemausert – jedoch gänzlich anders als zuvor. Denn Heligan lag lange im Tiefschlaf und ging für viele Jahrzehnte unter Gestrüpp und wild wachsendem Grün verloren. Was war passiert?
Der Erste Weltkrieg
Als 1914 der Erste Weltkrieg begann, sollte dieses blutige Ereignis weit mehr Schaden anrichten als nur auf den Schlachtfeldern. Unter den unzähligen getöteten Soldaten waren viele einfache Arbeiter, die zuvor wichtige Aufgaben in den Dörfern und Gemeinden übernahmen oder sich auch um solche Anwesen wie Heligan kümmerten.
Vor dem Krieg sorgten insgesamt 23 Gärtner für den blühenden Traum des eher unscheinbaren Herrenhauses der Familie Tremayne. Die Liebe der Familie zu Pflanzen war unübersehbar: Hunderte Hektar mit Raritäten, fächerförmig angelegte Pfirsich- und Melonengärten, zarte Tropenbäume, Kamelien und Rhododendren wollten gehegt und gepflegt werden. Aber auch die notwendigen Regenwasserkanäle, eine Sägemühle und die dampfbetriebenen Gewächshausheizungen brauchten tägliche Aufmerksamkeit. Doch als nur vier der dreizehn eingezogenen Gärtner aus dem Krieg zurückkehrten, blieben viele dieser Arbeiten liegen und das Unkraut begann zu wuchern.
Als der kinderlose Besitzer des Anwesens schließlich 1923 nach Italien zog und den Garten eher ambitionslosen Pächtern überließ, geriet die einstige Schönheit in Vergessenheit.
Von Schweinen und Schätzen
Über viele Jahrzehnte wucherte es in Heligan ungezähmt. Denn auf dem fachmännisch gepflegten Boden gediehen alle Arten von Pflanzen mehr als prächtig.
Bis der niederländische Archäologe und Musiker Tim Smit auf den Plan trat, der später auch das Eden Project gründen sollte. Er war 1987 mit seiner Familie in ein Bauernhaus in der Nähe gezogen. Einheimische erzählten ihm eines Tages von exotischen Schätzen, die irgendwo in der näheren Umgebung von Heligan vergraben seien. Das ließ ihn hellhörig werden. Doch es brauchte noch einen weiteren Zufall: Da er zur gleichen Zeit einige Schweine einer fast ausgestorbenen Rasse geerbt hatte, kam er auf die Idee, einen Hof für seltene Rassen zu gründen. Auf der Suche nach einem Standort traf er John Willis, ein Mitglied der Familie Tremayne, der das zugewucherte Heligan gerade gemeinsam mit seiner Schwester geerbt hatte.
John Willis bot Tim Smit an, das Gelände mit ihm zusammen zu erkunden. Dieser dachte wohl an ein Abenteuer und die exotischen Schätze und sagte begeistert zu.
Der wiederentdeckte Garten
Die beiden stießen bei ihrer Erkundung unter anderem auf das letzte erhaltene Beispiel eines Gewächshauses von Joseph Paxton aus dem 18. Jahrhundert. Sie fanden auch einen Haustierfriedhof, eine Kiwi-Pionierrebe, den Teekessel des Chefgärtners und eine Ananasgrube, die einst mit frischem Dung beheizt worden war. Denn in Heligan züchtete man tatsächlich seit dem 18. Jahrhundert aufwendig Ananas.
Aber es waren andere Funde, die für die spätere Restaurierung von Heligan ausschlaggebend sein sollten. Ein halb gefüllter Eimer Kohle stand noch bereit, um einen dampfbetriebenen Kessel zu befeuern. Und an der Wand eines Toilettenhäuschens war Folgendes geschrieben: „Kommt nicht hierher, um zu schlafen oder zu schlummern.“ Und darunter die Unterschriften der Männer, die im August 1914 in dieser dunklen Ecke gesessen hatten. Es waren die Namen der Gärtner, die dies wohl geschrieben hatten, bevor sie Heligan in Richtung der Schlachtfelder verließen.
The Lost Gardens of Heligan: Ein lebendiges Denkmal
Die beiden Entdecker hatten also nicht nur einen Garten gefunden, sondern auch die eingefrorenen Zeugnisse einer Welt am Rande eines unbarmherzigen Wandels.
Sofort war klar, dass der Garten neu erstrahlen sollte. Doch diese Restaurierung durfte sich nicht nur auf das Prachtvolle und Schöne konzentrieren. Vielmehr sollte Heligan ebenso die Geschichte derer erzählen, die hier gearbeitet hatten und nicht mehr zurückkehren konnten – auch indem ihre gärtnerischen Kenntnisse und Fähigkeiten neu zur Anwendung gebracht wurden.
Unter dem Gestrüpp kamen seltene Kamelien und Rhododendren zum Vorschein, ebenso ein Blumengarten, der 1896 von The Gardeners' Chronicle als „die schönste Blumenrabatte Englands“ bezeichnet worden war. Schon bald erstrahlte er als sogenannter Sundial Garden in neuer Pracht. Rinder und Schafe seltener Rassen grasten nun ebenfalls auf den Ländereien.
Im Jahr 1992 wurde Heligan – noch als Baustelle – der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Aber nicht bloß als schöner Garten, sondern als „lebendes Denkmal“ des Ersten Weltkriegs, das auch vom Imperial War Museum in London anerkannt ist.
Mittlerweile lassen sich ein Ziergarten mit Wunschbrunnen und Felsenschlucht, der Nutzgarten mit dem alten Gewächshaus, ein Dschungel voller subtropischer Pflanzen und das naturnah bewirtschaftete sogenannte verlorene Tal bewundern. Gleich hinter dem Eingang begrüßen zudem The Mud Maid and The Giant’s Head – zwei Erdskulpturen der Künstlerin Susan Hill – die Besucher.
Eine royale Erdbeere
Der Nutzgarten stellte bei der Restaurierung eine besondere Herausforderung dar, denn viel Wissen war verlorengegangen. Vor dem ersten Weltkrieg wäre ein Haushalt von 30 Personen allein mit Produkten aus dem Nutzgarten in Heligan satt geworden. Heute stammt nur noch ein winziger Teil der Zutaten für das hauseigene Restaurant aus dem Garten selbst. Diese sind jedoch etwas Besonderes.
Denn wer zum Beispiel zur rechten Zeit vor Ort ist, kann eine Royal Sovereign-Erdbeere ergattern. Das ist eine historische Sorte aus dem Jahr 1892, die beim Krönungsbankett der Queen serviert wurde. Sie ist im Handel nicht erhältlich, da sie nur kurz haltbar ist, aber der Geschmack soll unnachahmlich sein.
Kurzum: Heute sind die 200 Hektar von Heligan ein lebendiges historisches Denkmal und ein wahres Paradies für Entdecker, Gartenliebhaber und alle, die besondere Erdbeeren lieben.
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