Ein Opernhaus auf dem Lande? Kann das denn funktionieren, kommt da genug Publikum? Es war schon ein Wagnis, als John Christie in den 1930ern beschloss, direkt neben seinem Gutshaus in der Nähe von Lewes in Sussex eine Privat-Oper zu bauen. Am 28. Mai 1934, vor genau 80 Jahren, feierte dort das Glyndebourne Festival seine Premiere mit Mozarts „Così fan tutte“. Heute ist es eins der berühmtesten Kulturevents weltweit – wegen der Qualität der Aufführungen, aber auch wegen der besonderen Atmosphäre. Denn der Gast mit Stil kommt in Abendgarderobe, aber mit Picknickdecke. Die Pause ist mit jeweils anderthalb Stunden extra lang, damit Zeit für ein Gläschen Pimm´s oder Champagner, ein paar leckere Sandwiches und gepflegte Konversation im Freien ist, sofern das Wetter mitspielt. Das Picknick darf man von zu Hause mitbringen, kann aber auch ein fertiges bestellen oder im Restaurant essen.
Die Hauptsaison liegt also im Sommer, zwischen Mai und August. In den ersten Jahren drehte sich alles um Mozart, den Gründer Christie so sehr liebte, heute ist das Programm vielfältiger (aber eine Mozart-Oper gehört dazu, dieses Jahr „Die Zauberflöte“). Das Opernhaus ist nicht mehr das alte, denn der eher bescheidene Bau reichte trotz mehrfacher Erweiterung und einem Sammelsurium von Anbauten irgendwann nicht mehr aus. In den 1990ern entstand ein neues Gebäude mit besserer Akustik, das 1200 Opernfans Platz bietet. Ursprünglich waren es 300 Sitze. Auf das Sommerfestival folgt im Herbst noch eine Tour durch England mit drei Opern und einem Weihnachtskonzert, die in Glyndebourne startet. Träger ist heute eine gemeinnützige Stiftung, der Gus Christie, Enkelsohn des Gründers, vorsteht. Es bleibt also in der Familie.
John Christie hätte mit seinem Geld auch etwas anderes anfangen können, aber er wollte seinen Traum, die Oper in Großbritannien zu fördern, in die Realität umsetzen. Außerdem war er mit der Sopranistin Audrey Mildmay verheiratet. Zwei Deutsche prägten die Gründungsphase des Glyndebourne Festivals: Dirigent Fritz Busch und Dramaturg Carl Ebert, die beide aus ihrer Heimat emigriert waren, weil die Nazi-Regierung sie stark unter Druck setzte. Busch, damals an der Semperoper Dresden, weigerte sich, jüdische Musiker zu entlassen. Und Ebert war als Sohn des früheren Reichspräsidenten Friedrich Ebert ohnehin verdächtig. Sie arbeiteten sehr erfolgreich zusammen, aber während des Krieges wurde die Oper geschlossen und in ein Heim für evakuierte Kinder aus den Großstädten umfunktioniert.
Heute floriert Glyndebourne und ist fester Bestandteil des britischen Kultursommers und der „London Season“ (die Hauptstadt liegt etwa zwei Stunden entfernt). Wer Opern und den britischen Lebensstil liebt, sollte das Festival auf seine „bucket list“ setzen, auf die Liste der Dinge, die man im Leben unbedingt wenigstens einmal erleben will.
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