Heute starten wir bei Sauwetter, um das mal rustikal auszudrücken: peitschender Regen, schlechte Sicht. Sogar unser Busfahrer Werner, ein Mann mit Stahlnerven, guckt skeptisch. Alles trieft, auch der blumige Schriftzug „English Riviera“ am Ortsausgang sieht traurig aus. Unter bleigrauem Himmel durchqueren wir nacheinander zwei berühmte Moorlandschaften, erst Dartmoor und dann Bodmin Moor. Beide beherbergen je ein Untier, Dartmoor den Hund von Baskerville, Bodmin Moor eine Riesenkatze. Der Hund entsprang der Fantasie von Arthur Canon Doyle, ist also fiktiv, die Katze entsprang der Fantasie der Einheimischen und ist (vermutlich) genauso fiktiv. Die wenigen Fotos, die es von ihr gibt, wirken ähnlich überzeugend wie die von Nessie.
Dartmoor, so hören wir von Reiseleiterin Annette, gehört zu einem nicht unerheblichen Teil Prince Charles, gilt als gutes Jagdgebiet und war mal bewaldet. Der Mensch griff ein und holzte ab, es gab nicht mehr genug Bäume, um die Feuchtigkeit aufzunehmen – der Boden versumpfte. Typisch für die Gegend sind die vielen Hecken und die „Clapper Bridges“ aus Granitplatten, die Bäche und Flüsse überbrücken. Trotz des auch hier ungewöhnlich warmen Sommers ist alles schön grün, kein Wunder, es nieselt immer weiter.
Die Hecken, so erzählt Annette, gliedern die Landschaft und trennen die Felder voneinander, sind jedoch großen Traktoren im Weg. Deshalb wurden viele in den 1970ern herausgerissen. Wie schon beim Roden der Bäume hatte dies ungeahnte Nebenwirkungen: Der Wind pfiff über die Landschaft und riss die fruchtbare Erdschicht weg. Heute werden die Hecken wieder aufgeforstet, sehr zur Freude des „hedgehogs“, des „Heckenschweins“. Wir würden ja „Igel“ sagen … Freilaufende Ponys gibt es hier auch, außerdem ein düster-graues Gefängnis, das zur napoleonischen Zeit erbaut wurde und heute noch in Betrieb ist.
Bei unverändert miesem Wetter machen wir jetzt eine Pause am Jamaica Inn, einem Gasthof in Bodmin Moor, der im 18. Jahrhundert erbaut wurde und zu literarischem Ruhm gekommen ist – nein, nicht durch Rosamunde Pilcher, sondern durch die bereits erwähnte Daphne du Maurier. Sie siedelte hier eine Schmugglergeschichte an, die insgesamt dreimal verfilmt wurde, einmal von Hitchcock und zuletzt 2014 von der BBC. Die Küste von Cornwall wimmelte nämlich früher von Strandräubern, die teilweise – sehr skrupellos – Schiffe mit Lichtern auf die Klippen und ins Verderben lockten, um die Ladung abzugreifen. Und das Jamaica Inn soll Lagerstätte des unrechten Gutes gewesen sein. Deshalb spukt es hier, ist ja klar.
Weiter geht die Fahrt übers Moor, wir sehen Heide, Wacholder und einzelne Bäume, die ganz krumm sind vom Wind. Blau angemalte Schafe sehen wir auch. Was das wohl soll? Vermutlich geht es dem Bauern um den Wiedererkennungswert. Aus der Landschaft ragen alte Kamine, Überbleibsel des Bergbaus, der einst diese Gegend prägte.
Und jetzt, endlich, sehen wir den St. Michael's Mount. Oder jedenfalls seine Silhouette im Dunst. Dieser Berg vor dem Küstenort Marazion, bei Ebbe zu Fuß, bei Flut nur per Boot erreichbar, ist das Gegenstück zum Mont St. Michel in der französischen Normandie. Nur kleiner. Hier wie dort lebten und beteten früher Benediktinermönche. Die Gezeiteninsel – gekrönt von einem Schloss – erhebt sich imposant aus der See. Ihre Gärten sind legendär. Schade nur, dass wir nichts davon erkennen. Alles grau in grau. Leicht frustriert trinken wir eine Tasse Tee auf dem Busparkplatz. Brauchbare Fotos sind hier auch keine zu machen. Aber wir kommen wieder!
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