Das Wörtchen „sorry“ muss eines der am häufigsten gebrauchten in der englischen Sprache sein, jedenfalls in England. Es passt eigentlich immer. Tritt man jemandem auf den Fuß, sagen beide – Opfer und Täter – „sorry“, oft gleichzeitig. Jeder unbeabsichtigte Rempler wird (auch) vom Angerempelten mit einer Entschuldigung quittiert. Das ist ein Reflex und heißt nicht, dass Engländerinnen und Engländer sich häufiger schuldig fühlen als Angehörige anderer Völker, aber sie haben von klein auf gelernt, dass dieses Wort ein unverzichtbares gesellschaftliches Hilfsmittel ist.
Die englische Anthropologin Kate Fox, die vor ein paar Jahren das Wesen ihrer Landsleute wissenschaftlich untersucht und daraus ein Buch namens „Watching the English“ gemacht hat, versuchte folgendes Experiment: Sie stieß auf belebten Plätzen, in der U-Bahn und im Kaufhaus unauffällig, aber mit voller Absicht gegen andere Passanten. Fazit: 80 Prozent ihrer Opfer entschuldigten sich sogleich dafür, dass sie angerempelt worden waren (wobei Älteren dies etwas häufiger über die Lippen kam als Jüngeren, männliche Teenager, die in Gruppen unterwegs waren, neigten am wenigsten zum „Sorry“-Reflex). Um ihre These, das ständige Sich-Entschuldigen sei typisch englisch, zu untermauern, versuchte es Ms. Fox auch mit Touristen verschiedener Nationalitäten sowie im Ausland. Ergebnis: Obwohl auch hier die Angerempelten überwiegend freundlich reagierten und oft so etwas wie „Vorsicht“ oder „Alles in Ordnung?“ sagten, so entschuldigten sie sich jedoch nicht.
Die Anthropologin hatte übrigens, bevor sie den Versuch richtig starten konnte, ein gewisses Problem zu überwinden: Sie ging los, stieß jemanden an – und entschuldigte sich selbst sofort, was natürlich das Experiment verwässert hätte. Erst nach vielen Anläufen gelang es ihr, diesen Reflex zu unterdrücken und wortlos in andere Menschen hineinzustolpern.
Natürlich ist „sorry“ auch bestens geeignet, um eine Konversation zu beginnen und passt eigentlich vor jeden Satz:
- Sorry, wieviel Uhr ist es?
- Sorry, ist der Platz da frei?
- Sorry, ich würde gern zahlen.
Und so weiter und so fort. Zu guter Letzt ist das Wort auch die übliche Formulierung, wenn man etwas nicht verstanden hat. Wo wir „wie bitte?“ sagen, sagt man in England meist „sorry?“.
Der uralte, aber immer noch schöne Film „Love Story“ enthält einen Satz, der Filmgeschichte machte: Liebe bedeutet, niemals um Verzeihung bitten zu müssen (klingt schön, ist allerdings ziemlicher Quatsch, wie jeder weiß, der je eine längere Beziehung gehabt hat). Kate Fox hat ihn abgewandelt: Englisch sein heißt, immer um Verzeihung bitten zu müssen. Und das ist die Wahrheit, sorry.
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