Belfast im Spätsommer. Das Licht hat diesen goldenen Ton, der Häuser und Straßen wärmer aussehen lässt, als sie es in Nordirland je sind. In den Pubs riecht es nach Guinness, nassen Mänteln und Melancholie. Irgendwo läuft leise Moondance. Van Morrison wird 80. Hier ist das kein Society-Thema, sondern ein Stück Stadtgeschichte. Morrisons Stimme klingt wie Belfast an einem regnerischen Tag, wenn die Fenster beschlagen und die Geschichten und Songs altbekannt sind. Seit den 1960ern singt er gegen starres Schubladendenken an, mal mit einer Big Band im Rücken, mal allein mit Gitarre, aber immer mit dem weltberühmten Timbre, das sich anhört, als hätte es tausend durchzechte Nächte und viele Leben hinter sich.
Von Bloomfield auf die Weltbühne
Geboren 1945 in Bloomfield, einem Arbeiterviertel im Osten Belfasts, wächst George Ivan Morrison in einem Zuhause auf, in dem Musik mehr als bloßes Hintergrundrauschen ist. Sein Vater bringt Bluesplatten aus den USA mit, seine Mutter singt Folk. Diese Mischung aus Mississippi-Delta und irischem Hinterzimmer bildet sein Fundament. Schon als Teenager spielt er Saxofon in Tanzbands, bevor er 1964 die Band Them gründet – benannt nach einem Sci-Fi-Horrorfilm der Fünfziger. Mit Songs wie Gloria und Here Comes the Night verschafft sich die Band internationales Gehör. Gloria wird später von Patti Smith, den Doors und Jimi Hendrix gecovert und zu einem Garagenrock-Klassiker, der Morrison jahrelang begleitete.
Der Weg des Solokünstlers
Nach dem Ausstieg aus Them beginnt Morrison eine Solokarriere, die sich von Anfang an nicht an der Logik der Charts orientiert. Sein drittes Album Astral Weeks (1968) gilt heute als Meilenstein, damals verkauft es sich kaum. Dasselbe passiert mit Veedon Fleece (1974): kaum Resonanz bei Erscheinen, inzwischen hochgelobt für seine poetische Dichte. Morrison schreibt keine Musik, die man im Vorbeigehen konsumiert. Seine Songs sind wie Legenden, die langsam durchsickern, und bei denen man nicht alles beim ersten Hören versteht. Dass er damit nie die Massencharts dominiert, ist ihm egal.
Unberechenbarkeit auf der Bühne
Van Morrison ist berüchtigt für seine Eigenwilligkeit bei Live-Auftritten. Wer ihn bucht, bekommt keinen glatt gebügelten Popstar, sondern einen Musiker, der nach Stimmung und Tagesform entscheidet. Er kann mitten im Song aussteigen, Klassiker weglassen oder Stücke endlos ausdehnen. Doch gerade in diesen unberechenbaren Momenten liegt der Reiz. Wenn er trifft, dann so, dass der Raum ehrfürchtig schweigt. Keine Pyrotechnik, keine Showeffekte. Nur diese dichte Intensität, bei der man vergisst, dass das Guinness inzwischen schal geworden ist.
Ein Song für den Frieden
1995 erlebt Belfast einen Moment, in dem Politik und Musik ineinandergreifen. Vor rund 100.000 Menschen, kurz bevor Bill Clinton den irischen Friedensprozess nach den jahrzehntelangen Troubles öffentlich unterstützt, spielt Morrison Days Like This. Keine große Ansage, nur eine sanft eindringliche Melodie, die in der Stimmung der Stadt hängen bleibt. Der Song wird zur inoffiziellen Hymne einer Phase, in der Hoffnung und Skepsis dicht beieinanderliegen.
Ehre und Erbe
Die Liste seiner Auszeichnungen ist lang: zwei Grammys, mehrere Aufnahmen in die Grammy Hall of Fame, die Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame. 2015 wird er von Queen Elizabeth II. zum Ritter geschlagen – offiziell für seine Verdienste um Musik und Tourismus in Nordirland. 2025 stiftet er an der Queen’s University Belfast die Sir Van Morrison Music Scholarships, die Musikstudierenden aus Nordirland den Zugang zu einer akademischen Ausbildung erleichtern sollen. Dass er als erster Musiker zum universitätsweiten „Artist in Residence“ ernannt wurde, passt ins Bild: Van Morrison ist längst mehr als nur ein Teil der Popgeschichte, er ist eine kulturelle Konstante.
80 Jahre und kein Ende in Sicht
Mit 80 steht er immer noch auf der Bühne, veröffentlicht neue Alben, mal mit Jazzstandards, mal mit politischen Spitzen. Seine Stimme ist heute weniger glatt, dafür reicher an Textur – wie wettergezeichnetes Holz, das dennoch seine Form behält. Belfast ehrt ihn offiziell, doch die eigentliche Anerkennung zeigt sich im Alltag: dass seine Songs weiterhin laufen, in Bars, Taxis, auf Straßenfesten und in den Köpfen jener, die mit ihnen aufgewachsen sind. Er hat Belfast in die Welt getragen, ohne es zu romantisieren, und Musik geschaffen, die persönlich und universell zugleich bleibt. Vielleicht ist genau das der Grund, warum sie so alterslos ist, wie er selbst.
Happy Birthday, Sir Van Morrison!
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