Bälle im Glanz der Kronleuchter, Teepartys und Flanieren im Park, gepflegte Konversation und wunderschöne Kleider: So erleben wir das England des frühen 18. Jahrhunderts in der Serie „Bridgerton“ und auch in vielen Jane-Austen-Verfilmungen. Aber hinter der Fassade lauerten Fallstricke, und wer darüber stolperte, wurde zum Außenseiter … ein Schicksal, das auch in der Netflix-Serie nicht allen erspart bleibt.
Wie mussten sich Damen und Herren von Welt damals benehmen? Dieses Themas hat sich – mit Augenzwinkern – der britische Knigge „Debrett´s“ angenommen, und der muss es wissen. Er ist erstmals 1769 erschienen und hat somit wirklich Ahnung auf allen Gebieten feinen Benimms durch die Jahrhunderte bis heute. Für die Tipps à la Bridgerton hat das Team in eigenen, aber auch anderen Benimmbüchern der Ära gestöbert.
Die Damen der besseren Gesellschaft hatten es damals schwer, denn ihr guter Ruf war ihr ein und alles und entscheidend auf dem Heiratsmarkt. Zu tiefe Blicke, ein Kuss, gar eine Kutschfahrt mit einem Mann ohne Begleitung – schon war alles zu spät. Also, Damen sollten
- bescheiden und zurückhaltend auftreten,
- „ihren Platz kennen“,
- schön sein natürlich, aber nicht zu viel Haut zeigen. Gar nicht so einfach in einer Zeit, in der hauchdünne Flatterkleidchen im „antiken“ Stil mit kurzen Ärmeln, tiefem Ausschnitt und zartem Schuhwerk „in“ waren.
- Eine Dame sollte gerade genug Humor haben, um über die geistreichen Bemerkungen der Herren huldvoll zu lächeln.
- Geistreiches von Seiten der Damen dagegen war verpönt. „Wit“, also Wortwitz, galt als geradezu gefährlich.
- Wer als Frau Bildung oder Fachwissen jedweder Art besaß, musste dies sorgfältig verbergen, um niemanden zu verschrecken.
- Freundlicher Umgang mit den Herren war erwünscht, Vertraulichkeit tabu.
- Ein chancenloser Verehrer musste sofort auf taktvolle Weise in die Wüste geschickt werden, um Platz zu machen für eine passendere Partie.
Und die Herren? In den Benimmvorschriften der Ära, die sich an Männer richten,
- geht es vor allem darum, den „superiors“, also den Höhergestellten, Respekt zu erweisen. Die Reihenfolge der Begrüßung war immens wichtig.
- Niemals einen höhergestellten Herrn unterbrechen! Dagegen hatte dieser aber sehr wohl das Recht zum Dazwischenquatschen, und dann musste man ergeben lauschen.
- Meinungsäußerungen, gar über politische Überzeugungen, waren unerwünscht.
- Im Gespräch mit Damen sollte es galant zugehen, aber nicht zu vertraut oder – ganz schlimm – anzüglich.
- Einer einzelnen Dame zu viel Aufmerksamkeit zu widmen war gefährlich. Sonst konnte es passieren, dass sie (und vor allem ihre Familie) mit einem Heiratsantrag rechnete.
- Die elegante Verbeugung war die wichtigste Geste des Herrn, da sich Händeschütteln noch nicht durchgesetzt hatte.
- Küsschen waren nur erlaubt, wenn es sich um Schwester, Tante und Mama handelte und darüber hinaus sonst niemand im Raum war.
- Besuche sollten nicht länger als eine Viertelstunde dauern. Gegenbesuche waren ein Muss, bei den „superiors“ am besten gleich nach ein oder zwei Tagen, um Respekt zu erweisen.
Heute haben wir es nicht mehr so mit den Höhergestellten per Geburt. Manche der Regeln von damals gelten aber noch heute – zum Beispiel die, dass man bei einer Festgesellschaft nicht mit großem Trara aufbricht, sondern sich diskret empfiehlt. Sonst besteht die Gefahr, dass alle anderen auch gehen. Respekt zu erweisen, nicht zu unterbrechen, freundlich zu sein … das ist immer richtig, und zwar gegenüber allen Menschen.
Das frühe 19. Jahrhundert heißt in England übrigens „Regency“, Regentschaft. Der Grund: Der Prince of Wales führte mit Unterstützung seiner Mutter Queen Charlotte die Regierungsgeschäfte, weil sein Vater George III., der bei „Bridgerton“ gelegentlich auftaucht, geistig verwirrt war. Wir sind am Vorabend der Industriellen Revolution. Ganz klar richten sich alle Benimmregeln an Adel und gehobenes Bürgertum, soweit es sich schon etabliert hatte. Die weitaus meisten Menschen hatten damals ganz andere Probleme als die korrekte Verbeugung.
Quelle u. a. https://debretts.com/
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