Hutgeschichten, Teil drei
Wer trägt heute noch Zylinder? Der hohe Hut, der in England erfundene „top hat“, krönte im viktorianischen Zeitalter den Kopf jedes Bürgers, der sich einen leisten konnte. Aber auch heute noch ist das seltsame Kleidungsstück in Großbritannien bei bestimmten Anlässen und Zeremonien üblich, etwa beim Pferderennen Royal Ascot oder als Teil der Schuluniform in Eton. Bei Hochzeiten, die vor allem in England oft sehr aufwendig gefeiert werden, kommen männliche Gäste ebenfalls noch im Zylinder, allerdings eher in Grau als in düsterem Schwarz. Und natürlich ist der Hut ein wichtiges Accessoire für Zauberer, denn wo sollten sie sonst die Kaninchen herausholen? Etwa aus einer Schirmmütze?
Vor 220 Jahren, im Januar 1797, soll ein englischer Kurzwarenhändler namens John Hetherington erstmals einen Zylinder getragen und damit in London einen Skandal ausgelöst haben. Es ist aber unklar, ob die Geschichte überhaupt stimmt oder eine frühe „urban legend“ darstellt. Jedenfalls fielen die Damen, zimperlich, wie man damals war, in Ohnmacht ob des ungewohnten Anblicks, Kinder weinten, Hunde bellten außer Rand und Band – und Mr. Hetherington wurde zu einer Geldstrafe wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verdonnert. Vielleicht dauerte es deshalb noch eine ganze Weile, bis sich die neue Hutmode durchsetzte? Ein bisschen wird es auch daran gelegen haben, dass ein derart hohes Gebilde unpraktisch ist, wenn man es abnimmt und auf dem Knie halten oder irgendwo ablegen will. 1812 meldete aber der englische Hutmacher Thomas Francis Dollman ein Patent auf einen zusammenklappbaren Hut an, der heute unter dem lautmalerischen französischen Namen Chapeau claque bekannt ist.
Über den Sinn des Zylinders braucht man nicht lange nachzudenken. Er verleiht dem Träger entscheidende Zentimeter an Körpergröße (im 18. Jahrhundert durften Männer noch Absätze tragen, im 19. war das tabu!), er wirkt einschüchternd und imposant und hat somit die gleiche Funktion wie etwa gepolsterte Schultern oder die Riesenperücken des Barock. Woran denken Sie, wenn Sie sich einen Zylinder vorstellen? An Jack the Ripper oder Vampire? An Charles Dickens? An den Hutmacher aus Alice im Wunderland? An Abraham Lincoln, der auch ohne Zylinder schon sehr groß war mit weit über 1,90 Meter? Oder an galante Filmstars? Auch Kleidungsstücke, die man fast nie mehr sieht, bleiben in der kollektiven Erinnerung.
Ebenfalls in Großbritannien erfunden wurde der Bowler, der ein Symbol der Banker und Geschäftsleute war. Aber das ist eine andere Geschichte, die wir demnächst erzählen.
Zum Weiterlesen:
Hutgeschichten, Teil eins: Faszinierend so ein „fascinator“!
Hutgeschichten, Teil zwei: Wo ist die Melone?
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