Vor knapp zwei Jahren war Gareth Southgate nur zweite Wahl als Trainer der englischen Fußball-Nationalmannschaft. Er bekam erst im September 2016 die Chance, die Three Lions zu trainieren, nachdem Vorgänger Sam Allardyce wegen eines Enthüllungsskandals nach nur 68 Tagen als Chefcoach entlassen wurde.
Spätestens seit dem Einzug der englischen Elf ins Halbfinale bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 kennen ihn nicht nur echte Fußballfans. Gareth Southgate hat es in weniger als zwei Jahren geschafft, das Fußballspiel seines Teams wieder auf Weltmeisterschafts-Niveau zu bringen. Dazu gehören nach Ansicht von Fußballexperten z. B. das sog. Offensivpressing, ein schnelles Umschaltspiel sowie überraschende Wechsel zwischen Ballbesitzpassagen und Hochgeschwindigkeitsphasen. Außerdem hat der Trainer die Mannschaft extrem verjüngt. Im Durchschnitt sind die englischen Spieler 26,1 Jahre alt. Southgate setzt neben einigen wichtigen, erfahren Akteuren also vor allem auf Talent und Unbekümmertheit.
It’s coming home war das Motto bis zur Niederlage im Halbfinale gegen Kroatien. Ganz England glaubte an die Heimkehr der WM-Trophäe in das Mutterland des Fußballs. Daraus wird nun leider nichts, aber die Three Lions haben die Möglichkeit, den 3. Platz zu erreichen, wenn sie die belgische Nationalmannschaft besiegen.
Außergewöhnliches Training
Diese sensationelle Leistungssteigerung verdankt die Mannschaft vor allem ihrem Trainer Gareth Southgate. Mit ungewöhnlichen Trainingsmethoden verblüfft er gerne, nicht nur seine Spieler. Während der WM-Vorbereitung stand z. B. eine Teambuilding-Maßnahme der besonderen Art auf dem Plan. Ein Wochenende lang absolvierte die Mannschaft mit einer Marine-Einheit der britischen Armee eine klassische Gelände-Trainingseinheit: Es ging im Wald durch Matsch und Wasserbecken, über Erdwälle, in Marineuniformen, ohne Smartphones, dafür inkl. Camping.
In Russland ließ Gareth Southgate sein Team mit einem Gummihuhn trainieren, das sich die Spieler zuwerfen mussten. Dies sorgte zweifellos für kuriose Situationen, aber auch für sinkende Nervosität vor dem Halbfinale.
Kampf dem Elfmeter-Trauma
Außerdem konnte die englische Nationalelf ihr Elfmeter-Trauma mittels Southgate besiegen. Hierfür war er besonders prädestiniert, denn es war Gareth Southgate, der 1996 im Halbfinale der Europameisterschaft im eigenen Land einen Elfmeter gegen Deutschland verschoss. Damals war er vollkommen unvorbereitet in diese Situation geraten, denn erst kurz vor Beginn des Elfmeterschießens stellte der damalige Trainer ihn als sechsten Eltmeterschützen auf. Normalerweise braucht man nur fünf Spieler fürs Elfmeterschießen, es sei denn, diese fünf Schüsse führen zu keiner Spielentscheidung. Deutschland wurde seinerzeit übrigens Europameister und Gareth Southgate muss seither mit seinem Versagen leben.
Southgate hat es nun besser gemacht: Die Elfmeterschützen wurden frühzeitig festgelegt, ebenso wie mögliche Ersatzschützen. Über Monate ließ er sein Team das Elfmeterschießen trainieren. Aber nicht nur das Abziehen (Fußballdeutsch für schießen) wurde geübt, sondern auch die richtige Vorbereitung, also der lange Lauf von der Mittellinie bis zum Schusspunkt, und die Konzentrationsfähigkeit auf die Situation vor dem Anlauf. Hinzu kamen Videoanalysen möglicher gegnerischer Schützen und Torhüter. Auch der Ablauf im Team ist wichtig, damit es ruhig bleibt in der Mannschaft und die richtigen Leute auf dem Rasen sind.
Die Three Lions belohnten sich für ihre intensive Vorbereitung mit dem Sieg im Achtelfinale gegen Kolumbien, das sie im Elfmeterschießen mit 5:4 gewannen.
Vom Spieler zum Trainer
Noch ein paar Worte zum Trainer selbst: Gareth Southgate wurde 1970 in Wartford, nördlich von London, geboren. Er spielte vor allem als Innenverteidiger sowohl in englischen Vereinen (Crystal Palace in London, Aston Villa in Birmingham und FC Middlesbrough) als auch in der englischen Nationalmannschaft. Für diese bestritt er 57 Länderspiele und nahm an zwei Europameisterschaften (1996 und 2000) und an einer Weltmeisterschaft (1998) teil. Seine Trainerkarriere begann er 2006 beim FC Middlesbrough. Bis zu seinem Wechsel in die A-Nationalmannschaft Englands trainierte er seit 2013 die englische U21-Auswahl.
Goldige Aussichten
Dass England bei europäischen und internationalen Turnieren erfolgreich sein kann, bewiesen die Jugendmannschaften in der jüngsten Vergangenheit: 2017 wurden sie U20-Weltmeister, U17-Weltmeister und U19-Europameister. Eine solche Titelanhäufung gab es im englischen Fußball noch nie. Die Aussichten für die Zukunft dürften also auch für diese junge englische A-Nationalmannschaft gut sein. Wir freuen uns bereits auf die Europameisterschaft 2020, die in zwölf europäischen Städten ausgetragen wird. Halbfinale und Finale finden im Wembley-Stadion in London statt. England gewann bisher nur 1966 den Weltmeistertitel, im eigenen Land, im Wembley-Stadion. Wenn das kein gutes Omen für den ersten Europameistertitel ist!
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